- Name
- Angelo Veltens
29 September 2012
The Web is the Social Network
- Content
- Wir müssen monolithische, zentralisierte Social Networks hinter uns lassen. Sie widersprechen dem Gedanken der informationellen Selbstbestimmung und sind gleichzeitig anfällig für Zensur und Manipulation. Soziale Netzwerke sind nicht das Web. Sondern das Web ist ein großes, dezentrales soziales Netzwerk - wenn wir unsere Daten befreien und uns unabhängig von großen Anbietern vernetzen. Die Einzäunung des Webs Das World Wide Web ist eine ziemlich coole Erfindung. Wir alle können mitmachen, indem wir unsere Inhalte beisteuern. Diese Inhalte lassen sich untereinander verlinken. Die Links sind das, was das Web zu einem Web macht. Die Idee des Webs, als miteinander durch Links verwobene Inhalte wird zunehmend durch Social Networks pervertiert. Wer zum Beispiel bei "Wer-kennt-wen" auf einen externen Link klickt, bekommt folgende Warnmeldung präsentiert: [caption id="attachment_1192" align="alignright" width="646"] "Achtung, Sie verlassen jetzt die heile Welt von wer-kennt-wen.de"[/caption] Du hast gerade auf einen Link geklickt, mit dem Du die Seiten von wer-kennt-wen.de verlässt. Es lässt sich beobachten, wie Social-Network-Dienste zunehmend das Web vereinnahmen, statt daran zu partizipieren. Facebook und Co. versuchen die Nutzer möglichst lange auf der eigenen Website zu binden. Schließlich verdienen die Betreiber durch zielgerichtete Werbung eine Menge Geld. Je länger die Nutzer sich dort aufhalten, desto mehr erfahren die Betreiber über den Nutzer, desto zielgerichteter kann die Werbung werden und desto mehr Geld kann man damit verdienen. Bei Facebook finden sich keine derart skurillen Warnmeldungen, es vereinnahmt das Web auf eine subtilere Art und Weise. Facebook versucht die "Links nach draußen" so lange wie möglich innerhalb der Plattform zu halten. Fotos, Videos und die ersten Zeilen von Artikeln können betrachtet werden, ohne die Plattform zu verlassen. In Form von "Interessen" stellt Facebook oftmals ganze Wikipedia-Artikel in seiner Plattform ein. Die Möglichkeit zu "Liken" und zu "Sharen" machen die Rückkehr zu Facebook attraktiv, wenn doch einmal ein Link hinaus führt. Facebook macht uns das Leben bequem. Es dient uns als Kommunikationszentrale, als News-Dienst, als Möglichkeit interessante Inhalte und Menschen zu finden. Daran ist nichts verwerflich. Jedoch geht schleichend die ursprüngliche Idee eines dezentralen Webs aus miteinander verlinkten Inhalten verloren. Wer auf Facebook und Co. Texte und Bilder teilt, der veröffentlicht diese nicht im Web, sondern auf einer geschlossenen Plattform. Plattformen, die das Web so sehr vereinnahmen, dass "Digital Natives", die mit Social Networks groß geworden sind, oft gar nicht mehr den Unterschied zwischen Facebook und dem World Wide Web (geschweige denn dem Internet jenseits des WWW) kennen. Facebook ist das zentrale Element der Internetnutzung geworden. Diese Vereinnahmung geht in Form von "Social Plugins" auch über die Grenzen der eigentlichen Plattform hinaus. Man könnte meinen, dass sich Facebook auf diese Weise dem Rest des Webs öffnet. Es ist jedoch so, dass sich der Rest des Webs auf diese Weise gegenüber Facebook öffnet. Facebook diktiert die API, d.h. die Art und Weise wie die Webdienste und andere Programme mit der Plattform kommunizieren. Und hier sind wir beim Kern des Problems angelangt: Die Dienste kommunizieren mit Facebook. Sie kommunizieren nicht untereinander. Zumindest ist die Kommunikation zwischen anderen Webdiensten marginal im Vergleich zum Einfluss des Social Networks und im Vergleich zu dem Social Web wie es sein könnte (dazu gleich mehr). Das heutige Web ist gar nicht sozial. Dies hat Jeff Sayre sehr schön in seinem Artikel "The Web is Not (yet) Social" beschrieben: The Web is currently not social. It’s the metaspace analogy of meatspace nightclubs. It’s filled with private social silos, which are antithetical to the Web’s vision. Each private social island is an internal network consisting of tightly-controlled infrastructure that offers its own vision of how humans should connect and interact. Wer nicht auf Facebook ist, kann meine dort eingestellten Bilder nicht sehen, sich nicht digital mit mir "anfreunden" oder meine Status-Updates kommentieren. Was, wenn sowohl meine Freunde bei Facebook, als auch meine Bekannten bei wer-kennt-wen die Bilder sehen sollen? Dann muss ich die Fotos zweimal hochladen - oder ich muss mich für eine Plattform entscheiden. Letzteres ist das, was tatsächlich passiert. Nutzt eigentlich noch jemand wer-kennt-wen? Und gibt es die VZ-Netzwerke noch? Den eingangs erwähnten Weiterleitungs-Hinweis sehe ich immer seltener. Viele meiner Freunde kommunizieren nur noch über Facebook. Manche machen sich die Mühe, mehrere Accounts zu pflegen, aber es werden immer weniger. Die Accounts in anderen Netzwerken verwaisen, was weitere Nutzer bewegt, das entsprechende Netzwerk zu verlassen. Ein Teufelskreis - jedoch einer, den die Netzwerke selbst zu verantworten haben. Im Wettbewerb untereinander abgeschotteter Plattformen können nur einige wenige gewinnen. Doch der Dumme ist am Ende der Nutzer. So bequem uns Facebook das Leben auch machen mag: wir erleben gerade eine Monopolisierung & Zentralisierung unserer Kommunikation und begeben uns in Abhängigkeit einiger weniger, großer Anbieter. Diese Zentralisierung öffnet der Manipulation und Zensur Tür und Tor. Sie entmündigt uns Nutzer. Ich habe die Probleme bereits in einem anderen Artikel erörtert. Dass es sich dabei nicht um bloße Theorie handelt erläutert ein Beispiel von Sascha Lobo: Facebook zum Beispiel kontrolliert über detaillierte Algorithmen, welche Inhalte die Nutzer zu sehen bekommen. Laut qualifizierten Schätzungen sind es nur etwa zehn Prozent der von den Kontakten eingestellten Inhalte – sonst wäre es auch zu viel. Aber welche zehn Prozent sind das, und wie genau werden sie ausgewählt? Darüber schweigt Facebook weitgehend. Heutige Soziale Netzwerke nehmen mir die Möglichkeit selbst bestimmen zu können, was mit meinen persönlichen Daten geschieht, wer sie sehen kann und wer nicht. Die Datenschutzeinstellungen von Facebook simulieren dieses Recht nur. Die Daten liegen auf Servern des Unternehmens und sind offen für es zugänglich - ganz egal wie restriktiv ich meine Einstellungen setze. Echte informationelle Selbstbestimmung sieht anders aus. Ein echtes "Social Web" sieht anders aus. Wir müssen monolithische, zentralisierte Social Networks hinter uns lassen und uns unabhängig von großen, zentralisierten Anbieter vernetzen. Das World Wide Web bietet alles, was wir dazu brauchen. Es gilt nun, den Kerngedanken des Webs mit der Idee der sozialen Netzwerke zu verbinden. Nächste Seite: Befreiungsschlag Befreiungsschlag Das World Wide Web ist ein weltweites Netz aus miteinander verlinkten Dokumenten. Es ist voll mit "Content", den wir "liken" und "sharen" wollen. Doch weil das Web nur den Content verlinkt und nicht die Nutzer mit dem Content und die Nutzer untereinander - deshalb verwenden wir Plattformen wie Facebook. Sie schließen diese Lücke. Dabei ist es dem Web völlig egal, ob wir Webseiten miteinander verlinken, oder uns selbst und unsere Interessen. Es ist technisch dasselbe. Und es ist bereits heute möglich. Das Web ist ein großes, dezentrales soziales Netzwerk! Soziale Dienste haben zweifelsohne das Web und unseren Umgang mit ihm revolutioniert. Dinge zu "liken" und zu "retweeten" ist großartig. Ich möchte kein Web mehr, das so etwas nicht unterstützt. Im Gegenteil: Ich möchte diese sozialen Funktionen im ganzen Web nutzen, statt auf geschlossene Plattformen zu beschränken. Es muss mir egal sein dürfen, auf welchen Plattformen meine Freunde ein Profil haben und auf welchen nicht. Ich bin ein kommunizierendes, soziales Wesen und kein Benutzer-Account. Ich möchte Artikel kommentieren und Kommentare liken können, ohne mich ständig irgendwo zu registrieren. Ich möchte Menschen erreichen, die meine Interessen teilen, ohne dass mir Plattformgrenzen im Wege stehen. Das ist weniger utopisch als es auf den ersten Blick klingen mag. Wir benötigen zwei Dinge: Globale Identität Verlinkung Globale Identität Ohne Identität kein soziales Netz. Wir agieren als Menschen im Web und setzen Dinge und andere Menschen in eine Beziehung zu uns. Das ist das soziale am Social Web. Heute ist unsere Identität im Web sehr eng mit dem Konzept von "Accounts" verbunden. Uns gibt es auf Twitter, Facebook, XING und Google+. Oder eben nicht. Diese Anbindung unserer Identität an Accounts auf untereinander nicht kompatiblen Plattformen ist verantwortlich dafür, dass das Web als Ganzes noch nicht wirklich sozial ist. Die Grenzen der Plattform bestimmen die Grenzen unseres sozialen Austauschs im Web. Was wir also brauchen ist eine plattformübergreifende "globale Identität". Glücklicherweise sind globale Identifier eine Stärke des WWW. Ohne Sie würde das Web nicht funktionieren. Wir alle nutzen sie täglich: URIs - vielen geläufiger in Form der URL. Sie fangen meist mit "http://..." an und bringen uns zu einer beliebigen Seite im WWW. Weltweit, ohne das wir auch nur einen blassen Schimmer haben, wo diese Seite gehostet wird. Das Konzept dieser "Uniform Resource Identifier" (URI), lässt sich ohne weiteres auch auf Menschen und beliebige "Dinge" anwenden. Es handelt sich schlicht um eine globale ID, die irgendetwas identifiziert. Genau das was wir brauchen. Zu unserer Identität gehört aber noch mehr. Zum Beispiel unser Name oder ein Pseudonym. Letztendlich auch alles was wir im sozialen Web mit uns in Beziehung setzen wollen. Diese Informationen müssen wir speichern. Dank unserer globalen URI, stehen uns die unendlichen Weiten des WWW dazu zur Verfügung! Wir können unsere Daten selbst hosten, oder einem beliebigen Unternehmen anvertrauen. Relevant ist nur, dass unsere URI zu Informationen über uns führt, wenn man sie im abruft. Nicht auf unsere Webseite, sondern zu menschen- und maschinenlesbaren Informationen über uns. Verlinkung Diese strukturierten Informationen über uns, können auch Links enthalten. Links zu unseren Freunden, Dingen die uns gefallen, Blogartikel die wir kommentiert haben und vieles mehr. Solange wir URIs verwenden um all diese Dinge im WWW zu identifizieren, können wir sie auch verlinken und dadurch mit uns in eine Beziehung setzen. Durch solche Links können wir ausdrücken, dass uns ein Blogartikel gefällt, oder dass wir mit einer anderen Person (ebenfalls identifiziert durch eine URI) befreundet sind. Diese Herangehensweise ist komplett dezentral. Ich hoste mein Profil irgendwo im Web und setze einen Link zu einem beliebigen anderen Profil, Dokument oder Ding im Web. Die Verlinkung funktioniert so wie wir es bereits heute von Webseiten kennen. Ein zentraler Anbieter, der uns vorgibt was wir "liken" können ist überflüssig. Auch einzelne Dienste im Social Web können sich direkt untereinander verlinken. Sie müssen weder den Umweg über einen Anbieter wie Facebook gehen, noch sich durch ausschließlich lokale Benutzer-Accounts voneinander abschotten. Ein Social Network ist kein monolithisches Gebilde, in dem ich zentralisiert meine Fotos, meine Interessen und meine Statusmeldungen veröffentliche. Als soziales Wesen durchstreife ich das Web, hinterlasse einen Kommentar hier, like etwas dort, lade ein Foto bei flickr hoch und ein Video bei YouTube. Egal wo im Web ich etwas tue, ich möchte es mit meiner Identität verlinken können. Und ich möchte nicht an bestimmte Dienste gebunden sein, sondern selbst entscheiden wo ich poste. Durch die Verlinkung kann es auch vollkommen egal sein, wo ich poste, es ist mit mir verlinkt und somit auffindbar. Und nun? Was können wir nun tun, um die Idee eines dezentralen Social Webs Wirklichkeit werden zu lassen? Wer sich für die technischen Grundlagen interessiert, kann diese im Artikel "Das Web als Social Network" nachlesen. Außerdem gibt es ein Vortragsvideo, in dem ich das Thema ebenfalls erkläre. Auch sogenannte "Dezentrale Social Networks" gibt es inzwischen einige. Identi.ca bzw. status.net, Diaspora, Friendica (und einige mehr) sind definitiv einen Blick wert. Diese Plattformen bieten uns bereits heute die Möglichkeit, uns serverübergreifend zu vernetzen. Aber sie sind eben dies: Serverübergreifende Plattformen, die uns (noch?) keine globale Identität geben, welche wir mit dem Rest des Webs verlinken können. Letzteres hingegen ist z.B. bei my-profile.eu möglich. Hier könnt ihr euch anmelden, um eine sogenannte "WebID" zu erhalten. Das ist eine URI, die euch identifiziert und über welche eure Profildaten abrufbar sind. Die URI könnt ihr prinzipiell mit dem Rest des Webs verlinken. Theoretisch ginge dies per Klick auf einen "Like" oder "Comment" Button, in der Praxis ist heute leider meist noch etwas Handarbeit und technisches Verständnis nötig. Die Brücke könnten die genannten dezentralen Social Networks schlagen, wenn sie konsequent auf URIs und deren Verlinkung setzen. Fazit Soziale Netzwerke sind großartig. Wir alle nutzen sie gerne. Aber als abgeschottete Plattformen haben sie einen inhärenten Fehler: Sie widerstreben der dezentralen Struktur des WWW und bauen Mauern, wo keine sein sollten. Indem wir uns selbst durch URIs identifizieren und unsere Profile in Form strukturierter Daten an einem beliebigen Platz im Web hosten, schaffen wir die Möglichkeit einer Verlinkung. Verlinken wir uns mit unseren Freunden, den Dingen die wir mögen und den Inhalten die wir veröffentlichen, entsteht nicht einfach ein dezentrales soziales Netzwerk - sondern das Web selbst wird zu einem solchen.
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- 29 September 2012
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- 29 September 2012
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- Angelo Veltens
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- The Web is the Social Network